tisdag 19 februari 2013

V1-DS - Sprachgeschichte und -vergleich (0&1)

Der Verb-erst-Deklarativsatz in sprachgeschichtlicher und sprachvergleichender Perspektive

Das in diesem Appendix vorgestellte Material bildet die Grundlage des oben in Kapitel 2. skizzen­haft er­stell­ten Überblicks zur Stellung des finiten Verbs im germanischen Sprach­bereich. Der Ap­pen­dix ist so auf­ge­baut, daß zunächst in 1. und in 2. die ältesten Sprachstufen be­han­delt wer­den, die den germanischen Spra­chen gemeinsam sind. Daran schließt sich mit 3. ein Überblick über die un­markierte Verbstellung im Deklarativsatz der germanischen Spra­chen an. Hierauf folgt in 4. eine nach Einzelsprachen gegliederte Übersicht zum Verb-erst-Deklarativsatz (= V1-DS).
         
Die angeführten Beispiele und Belege entstammen in der Regel der Fach­lite­ratur, z.T. jedoch auch eigenen Erhebungen, was jeweils vermerkt ist. Sie dienen in erster Linie der Illustration. Eine ir­gendwie geartete Gleichmäßigkeit in be­zug auf die Art der Quellen (Text­sor­ten, Poesie gegen­über Prosa, Autoren u.ä.) konnte im Rahmen des hier vorliegenden Über­blicks nicht ange­strebt werden.[1]

1.     Zum Indogermanischen
Im folgenden werden die grundlegende Verbstellung sowie die deklarative V1-Stellung in der ange­nommenen, größtenteils rekonstruierten indogermani­schen Grundsprache besprochen.[2]
          Mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich darauf schließen, daß die grundlegende Verbstellung des Indogermanischen die Verb-letzt-Stellung (= VL-Stellung) ge­wesen ist; somit kann das Indogermanische in typologischer Hinsicht als eine SOV-Spra­che betrachtet werden. Neben der VL-Stellung hat es auch die alternative Mög­lich­keit der V1-Stel­lung gegeben. Das Indogermanische zeigt demnach eine Verbstellungsoppo­sition VL‑/V1-Stellung. Diese Po­si­tion läßt sich aus dem Studium der Fachliteratur gewinnen. Hier läßt sich zunächst festhalten, daß es über die grundle­gende Stellung des finiten Verbs im selbständigen Deklarativsatz in der (angenom­menen) indogermanischen Grund­­spra­che in der Forschung un­terschiedliche Hypo­thesen gegeben hat. Dressler (1969:20f.) und Schrodt (1983: 115) etwa weisen darauf hin, daß drei Verb­po­si­tionen (V1 wie auch Verb-zweit (= V2) und VL) be­züg­lich der grundle­genden Verbstellung des Indogermanischen ihre Für­sprecher ge­habt haben.[3] Von einer end­gül­tig ge­sicher­ten und über­all akzeptierten Vor­stel­lung zur indogermanischen Verbstellung kann kaum die Rede sein.[4] Den­noch gibt es in der Forschung – nicht zuletzt auch in den neueren Arbeiten – eine klare Tendenz, die VL-Stellung als die grundlegende Verb­stel­lung des Indogermanischen zu betrachten.
          Die V1-Stellung als die grundlegende Verbstellung des indogermanischen Deklarativsatzes anzusetzen, haben nur sehr we­nige Forscher vorgeschlagen. V.a. in der älteren Literatur hat diese Ansicht bisweilen ihre Anhän­ger gefunden; hier ist hauptsächlich auf Hirt (1934:214, 220, 1939:194)[5] sowie Schneider (1938:44ff., 66)[6] hin­zu­wei­sen. Ein neuerer Befürworter dieser Annahme zum Indogermanischen ist u.U. Miller (1975:41), der vom Indogermanischen als “probably originally a VSO lan­guage” spricht;[7] al­ler­dings darf Verb-Sub­jekt-Objekt-Abfolge keinesfalls mit absoluter V1-Stel­lung gleich­ge­setzt wer­den, da bei ersterer z.B. Ad­ver­bi­en oder an­de­re Elemente, die weder als Subjekt noch als Objekt klassifiziert werden, präverbal ste­hen können.
          Die Annahme von V2 als grundlegender Verbstellung im selbständigen Deklarativsatz des Indogermanischen ist ebenfalls nur in einer geringeren Anzahl von Arbeiten gemacht worden; sie wurde v.a. von Behaghel vertre­ten. Er stellt z.B. fest, “daß be­reits das Igm. [= Indoger­manische] im Hauptsatz in weitaus überwie­gen­dem Ma­ße dem Verbum die Mittelstellung (Zweit­stellung) zuweist” (1932:11, vgl. a. 1929).[8] Die­se Auffas­sung von V2 als grundlegender Verbstellung im Indogermanischen – die in typologischer Ter­mi­no­lo­gie als SVO bezeichnet werden kann – ist je­doch im Prinzip ohne An­hän­ger geblieben.[9]
            Die am weitesten verbreitete und auch heute gängige Auffassung über die Verbstellung im selb­stän­digen Deklarativsatz des Indogermanischen dürfte also die VL-Hypothese sein, die anfangs v.a. Delbrück (1900) ver­tre­ten hat.[10] Delbrück stellt (ebd.:81) fest, er könne der Annahme, V2 sei im selb­ständigen Satz die “ha­bi­tuelle Stellung” ge­we­sen, nicht zustimmen.[11] Delbrück selbst kommt in die­ser Frage zum ein­deuti­gen Schluß: “Das Verbum stand in dem unabhängigen Aussagesatz am Ende” (1900:83).[12]
          Diese Hypothese wurde schon sehr bald von einer Reihe von Forschern als richtig ak­zeptiert;[13] sie wird z.B. auch von Wun­der­lich/Reis (1924) über­nom­men, die wie folgt formulieren:
Für die [indogermanische] Ursprache nimmt man in der Regel an, daß das Verbum im Aus­sagesatz eine starke Neigung zur Stel­lung am Satz­schlusse hatte. […] Man darf diese Stel­lungsregel für eines der si­cher­sten Er­geb­nis­se der indo­germanischen Satzlehre hal­ten. (Wunderlich/Reis 1924:84, Her­vorh. i.O.)
In der neueren Forschung haben u.a. Dressler (1971:18f.) und Hopper (1975:46) die VL-Hypo­the­se zum Indogermanischen übernommen. Lehmann (1974:30), der zum Indogermanischen eine Vielzahl syntaktischer Phäno­me­­ne aus typo­lo­gischer Sicht ausgewertet hat, spricht von “the unmarked order, with verb final”.[14]
          Der kurze Überblick über die grund­legende Stellung des finiten Verbs im Indogermanischen hat deutlich ge­macht, daß zu dieser Frage verschiedene Hypo­thesen exi­stiert haben. Welche von diesen letztendlich richtig ist, kann (und soll) hier selbst­­ver­ständ­lich nicht entschieden werden. Es gibt jedoch offenbar gute Grün­de, von einer grundlegenden VL-Stellung im selbständigen Deklarativsatz auszu­ge­hen; so ist auch diese Hypothese in der heutigen Forschung allgemein ak­zep­tiert worden.
          Hervorzuheben bleibt, daß fast alle referierten Forscher – also nicht nur An­hänger der V1-Hypo­these wie Schneider oder Hirt – mit der Möglich­keit einer V1-Stellung im Indogermanischen in besonderen Fällen rechnen; vgl. stell­ver­tretend z.B. Behaghel (1932:27):
“Es kann keinem Zwei­fel un­ter­lie­gen, daß das Igm. [= Indogermanisch] absolute Anfangsstellung des Verbs gekannt hat”.
Auch die neuere Forschung steht fast einmütig auf diesem Standpunkt, vgl. Watkins (1963:35):[15]
initial position of the simple verb is well attested […] and is almost universally attributed to Indo-Euro­pean”.
Dabei wird i.d.R. angenommen, daß das Indogermanische im selbständigen Deklarativsatz die V1-Stel­lung unter be­stimmten Bedingungen verwendete – als “okka­sionel­len” (Del­­brück 1900)[16] bzw. markierten (Ebert 1978:35) Typ. Der V1-Stellungstyp dürfte gene­rell, somit auch im Deklarativsatz, mit Markiert­heit verbunden gewesen sein. Im Indogermanischen kann dem­nach in bezug auf die Verb­stel­lung von folgendem Zustand aus­ge­gangen wer­den:
the basic syntagm was: final verb in the neutral, initial verb in the marked clause (Hop­per 1975:58).
In diesem Sinne auch Lehmann (1974:51) und Wat­kins (1964):[17]
for the uncompounded finite verb, [there was] an opposition of sentence initial and sentence final position of V [= verb] […] The latter was evidently ‘normal’, and the former the stylistically marked member of the opposi­tion. (Watkins 1964:1041)
Auch wenn eine endgültige kategorische Stellung­nah­me zur Verb­stellung im Indogermanischen letztlich kaum mög­lich erscheint – dies natürlich nicht zuletzt aufgrund des Mangels an Quel­len –, so bleibt doch ab­schließend festzuhalten, daß im Anschluß an die auch in der neueren Forschung gängige Hy­po­the­se Del­brücks von der VL-Stellung als der grundlegenden, un­mar­kierten Verb­stellung im selb­stän­di­gen Deklarativsatz des Indogermanischen aus­gegangen werden kann. Neben dieser hat  es – und das ist hier das eigentlich Wich­tige – die (markierte) V1-Stel­lung auch im Deklarativsatz gegeben. Es deutet nichts darauf hin, daß es wei­tere, diesen beiden Stellungen eben­bürtige Verb­stel­lungs­möglichkeiten gegeben haben sollte.
 


[1]Es ist vielfach dafür argumentiert worden, für die Feststellung von Wortstellungsregularitäten in erster Linie Pro­sa­tex­te heranzuziehen. Vgl. in diesem Sinne u.a. Braune (1894:35), McKnight (1897a:165), Reis (1901:213), Diels (1906:2), Maurer (1924:154), Schneider (1938:6), Werth (1970:27f.), Näf (1979:147); positiv zur Evidenz aus der Poesie Hermann (1895:501), Schulze (1892:42), Ries (1907:374, Anm. 49), Kieckers (1915:6), Biener (1922a:136, 1926:225, 241), Schrodt (1983:111). In bezug auf viele der älteren Stadien der ger­manischen Sprachen zwingt allein schon die Über­­liefe­rungs­lage dazu, auch andere als Pro­sa­texte in Be­tracht zu ziehen. Dies gilt vielfach für die ältesten Quellen der anderen ger­manischen Sprachen (vgl. etwa Kuhn 1933:108, Schneider 1938:6ff.) und auch z.T. für das Ahd. (vgl. Starker 1883:1, Ohly 1888:5, Biener 1922a:130, Maurer 1924:152, Anm. 1) und das Mhd. (vgl. z.B. Betten 1987:4, Näf 1992:38f.).
[2]Zum – keineswegs trivialen – Prob­lem der Annahme bzw. Rekonstruktion einer indogermanischen Grund­spra­che vgl. in der neue­ren Literatur ein­füh­rend z.B. Mar­chand (1955), Antonsen (1965), Schmitt (1967:2ff.), van Coetsem (1970:19), Leh­mann (1974:5, 251), Dezs, Lightfoot (1980), K.H. Schmidt (1980), Braunmüller (1982:256ff.), Winter (1984).
[3]Daneben fand sich zeitweilig auch die Auffassung von der “freien Wortstellung” im Indogermanischen, s. Braune (1894:50 und ebd.:Anm. 2), Hirt (1929:341, 357).
[4]Vgl. a. die Feststellung Schneiders (1938:3), daß “bisher über die Stellung des Verbs in der idg. Grundsprache keine Ein­­stim­migkeit der Ansichten herrscht”.
[5]Vgl. Dressler (1969:20, Anm. 116), Schrodt (1983:115f.). Stark kritisch zu Hirt äußert sich Lehmann (1993:194f.).
[6]Braunmüller (1982:121) bezeichnet Schneiders (1938) Ausführungen allerdings als “weit­ge­hend spekulativ”; auch nach Schrodt (1983:116) arbeitet Schneider “ohne zureichende Be­weis­füh­rung”. Scharfe Kritik an Schneider äußert be­reits Kuhn (1939), vgl. a. Wunder (1965:486, Anm. 7), Hopper (1975:17f.).
[7]Diese VSO-Sprache habe sich dann im weiteren Verlauf noch in indogermanischer Zeit nach SOV hin ge­wandelt (Miller 1975). Vgl. ähnliche Überlegungen bei Friedrich (1975:61).
[8]Die Überlegungen Behaghels gehen zurück auf einen sehr ein­fluß­rei­chen Beitrag von Wacker­na­gel (1892), in dem u.a. auf das rhythmi­sche Gesetz hin­­gewiesen wurde, nach dem gewisse schwach­betonte Satzglieder im Indogermanischen an zwei­ter Stel­le im Satz stehen. Dabei ergibt sich die Mög­lich­keit, daß auch kür­zere, schwachbetonte Verbformen an dieser Stelle er­schei­nen (können), wäh­rend längere, betonte in Später- oder Endstellung stehen. Vgl. etwa Ebert (1978:34f.), Schrodt (1983:113), Hopper (1975:15f.).
[9]In der neueren Forschung vertritt Friedrich die Auffassung, daß für das Indogermanische der Typus SVO als unmarkiert anzusetzen ist, s. Friedrich (1975 passim, s. z.B. 68f.; 1976). Fundamentale Bedenken äußern hierzu Venne­mann (1976), Braun­müller (1982:38f.); vgl. a. Schrodt (1983:115). – Einen weiteren Typ der V2-Stellung hat Scherer (1878:481) als den grund­le­gen­den vorge­schla­gen: “Also: Object, Prädicat, Subject: dies ist die alte Wortfolge”. Mit dieser An­schau­ung dürf­te Scherer m.W. jedoch allein stehen.
[10]S. z.B. Schneider (1938:1f.), Ebert (1978:34), Schrodt (1983:113), Hop­per (1975:30).
[11]Delbrück hat allerdings später neben der (1900) angesetzten ‘habituellen’ VL-Stellung und der ‘okkasionellen’ V1-Stellung des indogermanischen selbständigen Deklarativsatzes auch noch die Möglichkeit einer aus­nahmsweisen V2-Stellung (im Wackernagel­schen Sinne) unter bestimmten, klar angebbaren Sonderbedingungen eingeräumt (vgl. Delbrück 1907, 1911:6).
[12]Als ein Beispiel führt Delbrück (1900:58, auch bereits 1878:19) u.a. den folgenden alt­in­di­schen Beleg (i) – hier wie in Lehmann (1974:31) zitiert – an:
(i)            a                    katríyya          balí    haranti
                villagers to-prince                                tax          they-pay
                ‘The villagers pay taxes to the prince.’
[13]In diesem Sinne äußern sich z.B. Ries (1880, 1896:285, 1907:29), McKnight (1897a:146, 217), Sweet (1898:5), Falk/Torp (1900:283), Nygaard (1900:210f., Anm. 1), Reis (1901:219, 348f.), Sommer (1925:118), Kuhn (1933:66). Vorsichtiger etwa Biener (1922b:168).
[14]So auch Grace (1971:365), Lehmann (1972:241, 246; 1974 passim, u.a. 50, 113f., 238f.; 1993:205), Daly (1973), Kos­suth (1978:42), Yoshida (1982), Ny­ström/Saari (1983:19), Le­nerz (1984:150), Robinson (1992:165), Lass (1994:218), Luraghi (1995:355).
[15]So auch Stockwell (1977:291), Kiparsky (1995:161), Luraghi (1995:355, 382).
[16]Delbrück (1900:81) stellt fest, daß “die Anfangsstellung des Verbums in der [indogermanischen] Grund­sprache okkasionell war”. – Die Termini ‘habituell’/‘okkasionell’ sind nach Delbrück (1911:69f.) wie folgt zu verstehen: “Es soll mit ihnen nicht behauptet werden, daß die okkasio­nelle Stellung der Tradition enthoben sei, sondern daß die Sprechenden auch in bezug auf die Verbalstellung das Gefühl haben, die eine sei die übliche, die andere trete nur in besonderen Fällen ein”, wobei die erstere die habituelle, die letztere die okkasionelle Stellung ist. Vgl. a. Delbrück (1878:76ff., 1920:53ff.).
[17]So auch bereits Hermann (1895:503), Berneker (1900:158), Falk/Torp (1900:283), Brug­mann (1904:684), Fischer (1924:204); ebenso Watkins (1963:4, 1976:315f.), Grace (1971:375), Burridge (1993:226, Anm. 2).

Inga kommentarer:

Skicka en kommentar