tisdag 19 februari 2013

V1-DS - Sprachgeschichte und -vergleich (2.3)

Der Verb-erst-Deklarativsatz in sprachgeschichtlicher und sprachvergleichender Perspektive


2.3.  Das älteste Stadium der germanischen Einzelsprachen und ihre früheste Ent­wicklung

Oben wurde angenommen, daß die germanischen Sprachen, mit Ausnahme des Ost­germanischen, nach ursprüngli­cher Übernahme der Verbstellungsopposition VL/V1 aus den älte­ren Sprachstufen im weiteren Ver­lauf ihrer Entwicklung die VL-Stellung zu­gun­sten der V2-Stellung auf­ge­geben haben; die V1-Stel­lung hat dabei weiter­existiert, wo­bei sie im selbständigen DS z.T. auf bestimmte Ver­wendungswei­sen beschränkt ge­blieben ist. Diese Hy­pothese soll im folgenden anhand der Fachliteratur kurz überprüft werden.
          Warum das Germanische die Entwicklung in Richtung V2-Stellung im selbständi­gen DS vollzogen hat, weiß man nicht.[1] Möglich – und vielleicht auch natür­li­cher – wäre auf der Basis der über­nom­me­nen Opposition VL/V1 eine Ent­wick­lung derart gewesen, daß die VL-Stellung als die grundlegende Stel­lung gewählt worden wäre – oder eventuell die V1-Stellung (wie im Inselkeltischen). Statt­des­sen führt das Germanische also die V2-Stellung als Neuerung ein und behält diese – mit gewissen Aus­nah­men im Eng­li­schen – bis heute im selbständigen DS bei.
Zur Verbstellung im ältesten belegten Stadium der germanischen Sprachen
[2] und de­ren Wandel sind in der Literatur wichtige Bemerkungen gemacht wor­den, die die Sprach­gruppe als ganze betreffen. Kufner (1972) nimmt an, daß sich die germanischen Stämme in sprach­licher Hin­sicht bis zur Völkerwande­rungszeit – also einer Zeit, aus der es nur in sehr be­grenz­tem Ausmaß sprach­liche Quellen gibt – re­lativ einheitlich entwickelt ha­ben. Hinsichtlich der Verb­stel­lung im selb­ständigen DS stellt das älteste Germanisch eine Über­gangsstufe zwischen der für das Indogermanische und Urgermanische typischen VL-Stellung und der V2-Stellung, wie sie sich später in der über­­wie­gen­den Mehrheit der germanischen Einzel­sprachen findet,[3] dar. Die Entwicklung führt dazu, daß die germanische Sprachengruppe sich in ty­po­lo­gi­scher Hinsicht vom Typ Subjekt-Objekt-Verb (SOV) des Gemein­ger­manischen[4] all­mäh­lich zum Typ Subjekt-Verb-Objekt (SVO) hin wan­delt:[5] Diesen typo­lo­gischen Wandel wertet Braunmüller (1982) als ein sehr wich­ti­ges Cha­rak­te­ri­sti­kum der germanischen Spra­chengruppe:[6]
Man könnte sogar überlegen, ob der allmähliche Übergang zu SVO als (unmar­kierte) Wort­stel­lungsnorm nicht als ein konstitutives Merkmal für die Heraus­bildung und De­fi­nition des Ger­manischen gewertet wer­den kann; ne­ben der Fest­legung des Wort­­­ak­zents (als Druck­ak­zent) auf der ersten Silbe, neben der 1. Laut­ver­schiebung und ne­­ben der Ent­stehung des sog. schwachen Präteritums in Form eines Dental­suffixes. (Braun­mül­ler 1982:140)
Mit der Entwicklung in Richtung der V2-Stellung ist die Geschichte der germanischen Spra­chen in ihrem weiteren Verlauf “voll und ganz von den Auswirkungen dieser ent­­schei­denden typologischen Neue­rung bestimmt” (Ramat 1981:207).
            Fourquets (1938) vielzitierte und sehr einflußreiche ausführliche Dar­stel­lung der Wort­­- und v.a. der Verbstellung der ältesten Stufen der ger­manischen Spra­­chen gibt in übersichtlicher Form einen Über­blick über diese Ent­wicklung; es werden mittels synchroner Schnitte (vgl. Schrodt 1983:118) fünf Sta­dien des älteren Germanisch unterschieden. Alle ger­manischen Sprachen (mit Aus­nah­me des ausge­storbenen Ost­germanischen) haben die vier ersten Sta­dien durch­laufen, wonach sie sich im fünften Stadium in die englische, deut­sche bzw. skandinavische Spra­che(ngruppe)n trennten.[7] Die fünf Stadien in skiz­zen­haftem Überblick, unter besonderer Berücksichtigung der Verbstellung:
1. état primitif: Als Vertreter dieses Stadiums nennt Fourquet die alt­nordi­schen Ru­nen­­in­schrif­ten sowie das Gotische. Generelle Aussagen zur Stellung des Verbs in diesem Sta­dium macht Fourquet nicht; es wird aber aus­drück­lich festgestellt, daß V1-Stellung mög­lich ist.[8]
2. état commun I: Dieses Stadium repräsentiert bei Fourquet der alteng­lische Beo­wulf; es be­steht eine Opposi­tion zwischen Sätzen mit V1-Stellung und Sätzen mit späterer Stellung des Verbs als V1.[9] Letzterer Typ ist der neutrale.[10] Ihm steht der “type expressif” ge­gen­über, “bien défini, caractérisé par le fait que le verbe est en tête de phrase” (Fourquet 1938:289). Die Wahl zwi­schen V1-Stellung und späterer Stellung des Verbs wird “zur Un­terscheidung ‘in­ten­siv/neu­tral’” getroffen (Fourquet 1974:322).
3. état mixte: Zu diesem Stadium gehören der erste Teil der Ags. Chronik (bis 891) und der alt­sächsische Hê­liand. Es beginnt sich hier eine Variante der späteren Stellung, die V2-Stel­lung, zur Normal­stellung des Verbs zu ver­festigen.[11] Daneben bleibt aber die Mög­lich­keit der V1-Stellung weiter bestehen: “le type expressif à verbe initial subsiste” (1938:291).[12]
4. état commun II: Vertreter dieses Stadiums sind der zweite Teil der Ags. Chronik, der ahd. Isi­dor und die Edda. Das Stadium führt Ent­wick­lungs­tendenzen des “état mixte” wei­ter, wo­bei der neutrale Typ in zwei Unter­grup­pen zerfällt: die eine zeichnet der V2-Stel­lungstyp aus, die andere “un type à verbeultérieur’” (ebd.), also mit späterer Stel­lung im Satz als V2. Diese Auf­teilung des neu­tra­len Typs in zwei Untertypen bekommt gram­­ma­ti­sche Funk­tion, indem sie in zu­neh­men­dem Maße zur Unterscheidung zwischen selb­stän­digen und ab­hän­gigen Sätzen ver­wen­det wird. Wichtig: Die Mög­lich­keit der V1-Stel­lung be­steht fort: “Il y a […] l'ancien type ex­pressif à verbe premier”. (ebd.).
5. Das letzte Stadium bringt die Aufspaltung in verschiedene Sprachen bzw. Sprach­grup­pen (s.o.). Die V2-Stel­lung wird konsequent zum neutralen Typ verallgemeinert.[13] Die V1-Stel­lung nimmt an Ver­breitung ab und wird nun auf bestimmte Äu­ße­rungs­typen ein­geschränkt: “Le type à verbe initial a décliné dans les trois groupes du ger­manique; il a été réduit à l'expression de l'interrogation, à quelques survivances près” (ebd.:293; vgl. Ebert 1978:37)
Fourquet in drei Punkten sehr knapp zusammenfassend, läßt sich folgendes sagen:

1. Beim Einsetzen der Über­lie­fe­rung des Germanischen finden wir eine Op­po­si­tion zwi­schen V1-Stellung einer­seits und späterer Stellung des Verbs ande­rer­seits vor.[14]

2. Aus dieser Ausgangslage bildet sich dann allmählich – mit Ausnahme des Ost­germanischen – eine Dif­fe­renzie­rung der Nicht-V1-Stellung in V2- bzw. Später-/VL-Stellung heraus, die dann im wei­teren Verlauf auch für die Unter­schei­dung in selb­ständige bzw. ab­hän­gi­ge Sätze nutzbar gemacht wird.

3. Dabei existiert der von An­fang an präsente V1-Stellungstyp als mar­kierte Abfolge un­unterbrochen weiter; er wird sodann im Ver­lauf der Auf­spaltung der gemein­germanischen Spra­che in Einzel­spra­chen auf be­stimmte Satz- und Äuße­rungs­typen festgelegt.

Nach diesen die altgermanischen Dialekte als Ganzheit betreffenden Be­mer­kungen wer­den im folgenden nun die grundlegende Verbstellung und – daran anschlie­ßend – die V1-Stel­lung der selb­ständigen DS in den germanischen Einzelsprachen je­weils für sich betrachtet. Mit Germanisch wird fortan das West- und Nord­germanische be­zeich­­net; das Ostgermanische ist, wie gesagt, ausgestorben. Von besonderem In­ter­es­se ist dabei zu verfolgen, inwieweit sich die V1-Stel­lung im selbständigen DS in den germanischen Einzelspra­chen als eine Möglichkeit der Verbstellung hat halten kön­nen.


[1]Es gibt nur Vermutungen. Vgl. z.B. Hopper (1975:47): “The sentence-second or enclitic posi­tion was becoming generalized at the expense of the final and initial positions. The reason for this change was probably the increase in the number of light verbs which resulted from the grow­ing tendency to express tense and mood by means of an auxiliary verb rather than by verbal inflection. There is also evidence that the enclitic verb often shared the positional cha­racteri­stics of the particles and pronouns in appearing towards the beginning of the sentence”.
[2]Zur terminologischen Unklarheit in der Bezeichnung (u.a.) dieser Periode vgl. etwa Anton­sen (1965), Ramat (1981:1ff., 8f.) und den Überblick in van Coetsem (1970:12ff., Anm. 1).
[3]Vgl. zu den heutigen germanischen Sprachen u.a. die Beiträge in Haider/Prinzhorn (1986) sowie in König/van der Auwera (1994).
[4]Vgl. Ramat (1981:187, 190, 199), Lenerz (1985a:117), Denison (1987:153).
[5]the lan­guages of the [Germanic] family move toward a more rigid SVO order­ing” (Hopper 1975:96). So auch Smith (1971:138), Ramat (1981:189, 201, 205ff.), Ebert (1978:37), Kossuth (1978:37). Hinsichtlich dieser Wand­lung verhält sich das Germanische offenbar ähnlich wie an­­de­re Sprach­gruppen, die sich aus dem Indogermanischen heraus entwickeln: “The overall pattern of changes from P[roto-]I[ndo-]E[uropean] to the dialects is from an OV to a VO structure” (Leh­mann 1974:250). Vgl. Ramat (1981:189).
[6]Vgl. a. Kiparsky (1995:159): “verb second […] was elaborated within Germanic in ways internally motivated with­in that family”.
[7]Vgl. Fourquet (1938:292, 1974:315), Schrodt (1983:118); s.a. Fleischmann (1973:230ff.), Lenerz (1984:135ff.)
[8]il n'est pas interdit de penser que le verbe, comme d'autres mots autonomes, pouvait être mis en tête de phrase” (Fourquet 1938:288).
[9]Fourquet (1938:194, 1974:316).
[10]Er ist wie folgt charakterisiert: “Le type neutre n'a que cette caractéristique négative: le verbe n'y est pas premier; il est à une place quel­con­que, pourvu que ce ne soit pas la première. Cette place se trouve être seconde, troisième …, dernière, […]” (Fourquet 1938:289f.).
[11]un grand nombre de phrases ont le verbe à la seconde place” (Fourquet 1938:291).
[12]Interessant ist, daß sich in diesem Stadium die V2-Stellung mit initialem da u.ä. offenbar als eine Va­riante der V1-Stel­lung herauszubilden scheint: “il semble qu'il s'en développe une variante, où le verbe placé en tête est précédé de a, et se trouve ainsi second élément” (Fourquet 1938:291, vgl. ebd.:199). S.a. Jacobsson (1951:88), Lenerz (1984:136), Tomaselli (1995:361).
[13]“La posi­tion seconde du verbe dans la principale neutre s'est généralisée de façon rigoureuse” (Fourquet 1938:292).
[14]Daß die V1-Stellung in den ältesten belegten Stadien des Germanischen häufig auftritt, betonen u.a. auch die folgenden Au­toren nachdrücklich: Mogk (1894:395), Delbrück (1900:67), Kieckers (1911:62), Curme (1922:461f.), Wunder­lich/Reis (1924:107), Hirt (1919:93, 1929:342, 1937:254), Jacobsson (1951:165), Smith (1971:92), Lenerz (1985a:119), Minkova/Stockwell (1992:146).

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