4. Die germanischen Einzelsprachen: Verb-erst-Stellung im selbständigen Deklarativsatz
In diesem Abschnitt soll untersucht werden, inwieweit sich in den germ. Sprachen die Existenz der V1-Stellung im selbständigen DS nachweisen läßt. Die oben skizzierte Entwicklung der Verbstellung vom Idg. zum Urg. (und zum Got.) hin läßt die Vermutung als plausibel erscheinen, daß die V1-Stellung in den germ. Sprachen weiter existiert – quasi unberührt von der Entwicklung der grundlegenden Verbstellung von VL nach V2 (bzw. engl. auch V3) hin. Ob eine solche Vermutung durch die sprachlichen Tatsachen zu rechtfertigen ist, soll im folgenden erarbeitet werden. Dabei wird der Übersichtlichkeit halber nach Einzelsprachen gegliedert;[1] innerhalb dieser Teilabschnitte wird jeweils chronologisch vorgegangen.
4.1. Das Deutsche
Neben der jeweils grundlegenden Verbstellung im selbständigen DS hat es im Dt. von Anbeginn der Überlieferung auch den V1-DS gegeben. In chronologischer Hinsicht gilt dabei nach Diels (1906:130), daß der V1-DS in den älteren Denkmälern häufiger ist als in den jüngeren. Nach Ebert (1978:37) begegnet der V1-DS in der Poesie häufiger als in der Prosa.
In seiner bis heute für die Frage der Geschichte der V1-Stellung im Dt. maßgeblichen Arbeit[2] stellt Maurer (1924) fest:
1. Es gibt im Althochdeutschen in weiterem Umfang den Typus der reinen Anfangsstellung des Verbs.2. Dieser Typus nimmt vom 9. bis zum Ende des 10. Jahrhunderts stark ab.3. Er ist nicht auf eine einzige Gruppe von Verben beschränkt. (Maurer 1924:151f.)
(A:8) beit noh dhuo dher aluualdendeo, dhazs ir sih auur dhurah hreuun mahti chigarauuan zi chinisti (Isidor, bei Fourquet 1938:130f.)(A:9) aaraugta sih imo gotes engil (Tatian, bei Penzl 1986:27)(A:10) Ercham sih tô der driu houbet habento turo-wart sus ungeuuones sanges. (Notker, Boethius 241,3, bei Näf 1979:141)
(A:11) gisah tho druhtin einen man (Otfrid 3,20,1, bei Erdmann 1881:193)(A:12) fuar thô druhtîn thanana (Otfrid 2,15,1, bei Erdmann 1886:187)(A:13) gisceident sih in alawar herero inti thegan thar (Otfrid 5,20,43, bei Schrodt 1983:122)
(A:14) suilizot lougiu der himil (Muspilli 53b, bei Morris 1989:134)(A:15) Kuning uuas ervirrit, Thaz rîchi al girrit, Uuas erbolgan Krist (Ludwigslied 20, bei Schulze 1892:45)(A:16) Lesen uuir, thaz fuori ther heilant fartmuodi (Christus und die Samariterin, bei Grimm 1898:1273)
Gegen Ende der ahd. Zeit, im Übergang zum Mhd., scheint die Häufigkeit der V1-Stellung im selbständigen DS deutlich abgenommen zu haben. Als vereinzelte spätahd. Belege aus der zweiten Hälfte des 11. Jh. können angeführt werden:[10]
(A:17) cunnon alle mahtigen vehtan (Williram 51, 4, bei Brodführer 1906:28)(A:18) gesah in got (Memento mori, bei Diels 1906:131)
Biener (1926:248) spricht vom “verschwinden des typus in spätahd. zeit”; “it vanished completely within the period of early MHG”,[11] schreibt Adolf (1944:75).[12] Dieser Standpunkt ist von mehreren Autoren eingenommen worden.[13]
Nimmt man diese Forschung beim Wort, so liegt es zweifelsohne nahe, für die sich an das Ahd. anschließende mhd. Periode mit einem gänzlichen Fehlen des V1-DS zu rechnen. Von einer völligen Abwesenheit der V1-Stellung im selbständigen DS des Mhd. wird auch von manchen Forschern ausgegangen.[14] Es mag der Anschein entstehen, als ließe sich der V1-DS nach der oben geschilderten Entwicklung zu Ende der ahd. Periode für mehrere Jahrhunderte kaum belegen. Der Eindruck bestätigt sich, wenn man Stichproben vornimmt. Bei der Lektüre der Sammlung dt. Prosa des 11. und 12. Jh. von Wilhelm (1914 [1960]) konnte ich keine Belege für V1-Stellung im selbständigen DS finden. Auch die Prosatexte des 12. bis 14. Jh. bei Naumann (1916) bieten keine Belege.
Nicht alle Autoren verfahren allerdings zum Mhd. gleichermaßen kategorisch wie die soeben zitierten, sondern betrachten den V1-DS vielmehr als einen seltenen, aber doch immerhin möglichen Typ im Mhd.[15] Daß eine vorsichtigere Einschätzung gerechtfertigt ist, wird auch durch die Tatsache gestützt, daß in der Fachliteratur durchaus mhd. Belege für den V1-DS begegnen. Aus dem 12. Jh.:[16]
(A:19) nu segen was dc sanc si. ist iz sanc allir sange(A:20) daz kit: ist ungewarlicher der sich an dc ovge stozit danne den fz(A:21) lovet dig cherubin, eret dig seraphin(A:22) meinet du ruode dig, heilig megedin, bedudet du bluome din drutkindelin(A:23) Schein van deme busche daz fur(A:24) gruonede daz louf in deme fure, bluode din mageduom in der geburte
(A:26) sprichet Sant Paulus (St. Georgener Prediger 164, 17, bei Behaghel 1932:37)
Biener (1922b:178) gibt an, bei Stichprobenauswertung von Hartmanns Iwein[19] einen V1-DS-Beleg gefunden zu haben.[20] In einigen Fortsetzungen der Sächsischen Weltchronik (um 1230) hat Biener (1922b:178) den V1-DS jeweils einmal belegen können.[21] Aus dem 14. Jh. läßt sich belegen:[22]
(A:27) sprach unser herr (Tauler 295, 35, bei Behaghel 1932:37)
Aus der ersten Hälfte des 15. Jh.:
(A:28) bestreit sie der Tot vnd begrub sie alle (Ackermann aus Böhmen, XVI, 31, bei Swinburne 1953:413)[23](A:29) sprach her Egg: das ist … (Wittenweilers Ring, V. 9037, bei Maurer 1926:201)(A:30) de kyrche mit gedeckit was. verbrante ir vmganc vnd ir pistyre (Kölner Jahrbücher, bei Küpper 1971:81)[24]
Wenn man also offenbar festhalten muß, daß der V1-DS in der schriftlichen Überlieferung aus mhd. Zeit wohl seltener ist als in den vorangehenden und nachfolgenden (vgl. unten) Sprachperioden, so stellt sich die Frage, warum dies so sein könnte.
Wie oben schon erwähnt, geht v.a. Maurer (1924, 1926) von einem völligen Aussterben der V1-Stellung im DS, wie sie sich noch in ahd. Zeit fand, aus; demnach sei der V1-DS in mhd. Zeit im Dt. nicht mehr existent gewesen. Diese Auffassung – mitsamt der daraus folgenden Annahme, die im Spätmhd./Fnhd. verstärkt auftretende V1-Stellung sei mit der älteren überhaupt nicht verwandt (vgl. unten) – hat sich in der Forschung “im großen und ganzen durchgesetzt”, wie Auer (1993:220, Anm. 29) hervorhebt.
Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang jedoch, daß gewisse literarische Konventionen u.U. zum Vermeiden einer Konstruktion in der Schrift- und der Dichtersprache führen können, die nicht unbedingt die allgemein gültige Sprachnorm wiedergeben. Für das Mhd. bemerkt Braune (1894:48) zu dieser Frage, daß die mhd. Literatur sich nicht auf die lebendige Sprache jener Zeit stützt. Ähnlich Frey (1946:48): “On the whole, the authors of early German writings, including those of the MHG period, do not give a true picture of the spoken language of their day”.[25] Folglich wendet sich Curme (1925) gegen den Schluß Maurers, das Mhd. habe den V1-DS im selbständigen Satz nicht (mehr) gekannt:[26]
While in the literary language of the M.H.G. period there was always a formal particle here [= satzinitial], the older usage with the verb in first place was doubtless wide-spread in popular speech. (Curme 1925:256, Hervorh. OÖ)
Auch Biener (1926) wendet sich gegen Maurers rigorose Hypothese, an deren Stelle er ein anderes Bild setzt: er gibt zu bedenken, er zweifle
daran, ob Maurer mit seiner ablehnung jedes zusammenhanges zwischen den beiden gruppen von anfangsstellungen recht hat. es wäre doch denkbar, dass dieser sprachgebrauch, möglicher weise in gesellschaftlichen niederungen, die zeit überdauerte, wo er in den besseren kreisen nicht geduldet und darum von schriftlicher festlegung ausgeschlossen war. (Biener 1926:254)
Diesen hier referierten vorsichtigeren Hypothesen zum V1-DS, die z.T. auch in der heutigen Forschung vertreten werden,[27] ist m.E. gegenüber der strikt ablehnenden Haltung Maurers der Vorzug zu geben. Dies auf jeden Fall solange, bis die Datenfrage durch umfassende Erhebungen geklärt ist.
Während sich zum V1-DS in der mhd. Zeit, wie dargetan, in der Forschung gewisse Unstimmigkeiten finden, so ist man sich i.a. darüber einig, daß dieser Typ im Fnhd. weit verbreitet gewesen ist;[28] nach Biener (1926:254) ist “die anfangsstellung zwischen 1450 und 1600 wider recht beliebt”. Dabei sieht die Belegsituation so aus, daß von den frühesten Belegen mit V1-Stellung im DS die Mehrzahl solche mit verba dicendi sind, z.B.:[29]
(A:31) antwirt die Künigin (Steinhöwel, Appolonius, 1461, bei Maurer 1924:163)(A:32) Antwurt der weis man gar geduldigklich (v. Eyb, Ehebüchlein, 1472, bei Maurer 1924:162)(A:33) Sagt man der Hund spräche zuo dem dieb: … (Steinhöwel, Äsop, um 1475, bei Maurer 1924:164)
Es kommen jedoch durchaus auch andere Verbtypen vor; einige Beispiele, ebenfalls aus der zweiten Hälfte des 15. Jh.:[30]
(A:34) Schanckten ir mein Herrn hie ain vergolte Scheirn (Landshuter Ratschronik, bei Maurer 1926:203)(A:35) Hiess der ein Senespa und der ander Theneba. (v. Pforr, Buch der Beispiele, um 1475, bei Maurer 1924:168)(A:36) Gesellet sich zu im ain hübsche frow. (Tünger, Facetien, 1486, bei Maurer 1924:170f.)
Eine weitere Zunahme der Frequenz des V1-DS wird dann im – nicht zuletzt auch sprachlich einflußreichen[31] – Werk Martin Luthers (1483-1546) deutlich; nach Franke (1922:68; Hervorh. i.O.) “stellt Luther zuweilen auch im erzählenden Hauptsatz die gebogene Zeitwortform an die erste […] Stelle”.[32] Einige Belege:[33]
(A:37) Beschieden sie sich zusamen; … (Luther, bei Franke 1922:68)(A:38) spricht nun das samaritische weib zu ihm (Luther, bei Grimm 1898:1274)
Aber auch in der nicht-geistlichen Literatur des 16. Jh. finden sich Belege für die V1-Stellung im DS.[34] Aus dem 17. Jh. können dann u.a. angeführt werden:[35]
(A:39) Mussen wir also entweder durch abschlagen ihre feindschafft erwarten, oder … (Opitz, bei Schultze 1903:31)(A:40) Hat demnach der Edelmann mehr Ere von seinem Sitzen (Simplizissimus, 1669, bei Biener 1926:249)
Es läßt sich festhalten: Ab etwa der Mitte des 15. Jh. nimmt die Verbreitung des V1-DS in den überlieferten Quellen des Dt. zu. Umstritten ist allerdings in der Forschung die Frage gewesen, ob man bei dieser Zunahme an Belegen von einer Art Wiederaufleben der älteren V1-Stellung, wie sie sich im DS der ahd. Zeit fand, ausgehen oder ob man von einer Konstruktion gänzlich anderer Art sprechen soll (vgl. a. oben zum Mhd.).
Die These Maurers und Behaghels von der lateinischen Beeinflussung des Dt. in bezug auf den V1-DS ist dabei sehr einflußreich gewesen: “Der lateinische Einfluß spielt eine Hauptrolle”, meint Maurer (1924:184). Diese Autoren nehmen an, daß zwischen der V1-Stellung des Ahd. und der des Spätmhd./Fnhd. kein Zusammenhang besteht;[36] vgl. z.B. Behaghel (1932:37):[37] “Mit dem späteren Ahd. ist […] die Spitzenstellung des Verbs untergegangen. Im späteren Mhd. tritt sie wieder auf, aber ohne Zusammenhang mit der älteren”.
Wie Auer (1993:220, Anm. 29) deutlich macht, kann diese Position – trotz bereits früh einsetzender und dann auch langanhaltender Kritik – im großen und ganzen noch immer als erstaunlich weitgehend akzeptiert gelten. Nicht zuletzt deswegen ist sie hier etwas ausführlicher zu diskutieren. – Es gibt allerdings durchaus Anlaß zu fundamentaler Kritik genereller Art am Ansatz Maurers, der u.a. V1-DS wie Kam da ein Mann und sagte … aus seinen Untersuchungen gänzlich ausschließt, indem er sie einfach wegerklärt – er teilt sie der “Gruppe der erregten Rede” zu, in der “ja die Gesetze des normalen Satzbaus überhaupt nicht gelten” (1924:144f.); s. hierzu näher oben.
Die Hypothese Maurers läuft darauf hinaus, daß die Verbstellung im V1-DS aus einer “Versteinerung” des Verbstellungsmusters in solchen eingeschobenen Sätzen mit V1-Stellung herzuleiten ist, in denen verba dicendi auftreten.[38] Es wird von der Beobachtung ausgegangen, daß der V1-DS in mhd. Zeit selten ist, während er im Fnhd. v.a. mit verba dicendi auftritt. Diese Datenlage wird von Maurer so gedeutet, daß der V1-DS im Mhd. ein nicht existierender Typ gewesen sei, der V1-DS des Fnhd. also ein neu entstandener Satztyp, der mit dem V1-DS des Ahd. nicht in Verbindung zu bringen sei.[39] Demnach soll der – auch im Mhd. vielfach belegte[40] – Typ der V1-Stellung bei Einschüben mit verba dicendi sozusagen das Muster gewesen sein, nach dem der V1-DS gebildet wurde.[41] Vgl. Maurer (1926):
Die Versteinerung im Einschubsatz bei den Verba des Sagens ist der wichtigste Ausgangspunkt; das betone ich nochmals ausdrücklich […] Der Vorgang, daß der Einschub sagte der Mann versteinert, als Ganzes aufgefaßt und als solches vor die Aussage gestellt wird, beruht auf psychologischem Grunde. (Maurer 1926:211f., Hervorh. i.O.)Nachdem dieser Typ etabliert gewesen sei, habe er durch eine Art der Analogiewirkung[42] auch mit anderen Verben verwendet werden können.[43]
Maurers nicht unproblematische Hypothese wurde in der Literatur mehrfach und dann kürzlich auch von Auer (1993) starker Kritik unterzogen.[44] Dieser Kritik an der “Versteinerungsanalyse” ist m.E. prinzipiell zuzustimmen. Maurers Analyse erscheint ad hoc eingeführt und deckt eigentlich, wenn überhaupt, nur Fälle mit verba dicendi ab. Zwar ist es natürlich letztlich sehr schwierig, eindeutig zu entscheiden, ob der von Maurer postulierte “Versteinerungsprozeß” in dieser Weise tatsächlich stattgefunden haben kann. Mir scheint seine Hypothese jedoch kaum attraktiv zu sein. Denn abgesehen von der (was den V1-DS im Dt. betrifft) z.T. leider immer noch recht unklaren sprachgeschichtlichen Datenlage ist m.E. der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß hier ein Erklärungsmodell – sog. “Versteinerung” und dann die anschließende Verschiebbarkeit des “Versteinerten” – eingeführt wird, das ausschließlich der Abdeckung gerade des V1-DS dient. Nicht zuletzt müßte aber in diesem Zusammenhang auch die Frage noch näher geklärt werden, welche Struktur für die eingeschobenen Sätze selbst anzunehmen ist. Maurer (1924:143) betrachtet sie als V2-DS; eventuell könnten sie aber zugrundeliegend als V1-DS analysiert werden.[45]
Im Gegensatz zu der recht kategorischen Position[46] Maurers bzw. Behaghels betonen andere Forscher den Gedanken der Kontinuität in bezug auf die Möglichkeit der V1-Stellung im DS des Dt. Nach Brugmann können Belege wie Luthers spricht zu ihm das weib “getrost angesehen werden als unmittelbare Fortsetzung der ahd. Satztypen, in denen ein pronominales Subjektwörtchen zur Satzeinleitung […] noch nicht benötigt war” (1917:42, Hervorh. OÖ). Burdach (1886:154) betont die Kontinuität vom Ahd. zum Dt. späterer Zeit: “Otfrids fuar tho druhtin thanana, gisah tho druhtin einan man entspricht genau und unmittelbar dem Goethischen sah ein knab ein röslein stehn”.[47]
Wie schon oben erwähnt, ist es m.E. nicht ratsam, aus der Tatsache, daß der V1-DS im Mhd. nur spärlich überliefert ist, ohne weiteres den Schluß zu ziehen, er sei in der Sprache ungebräuchlich bzw. seine Verwendung nicht mehr möglich gewesen. So betont auch Adolf (1944:77; Hervorh. OÖ):[48] “in spoken language survivals of the former freedom may have subsisted, linking the eleventh century with the fifteenth”. Dabei schließt Adolf den von Maurer erwähnten lateinischen Einfluß nicht prinzipiell aus, bezieht ihn jedoch ausschließlich auf die Schriftsprache:
Perhaps one had better say that Latin influence helped to break, in written language only, the inveterate habit of avoiding the verb at the head of the sentence, whereas it would not have been able to affect popular speech too, if such a tendency had not subsisted in German spoken language. (Adolf 1944:77)Dieser Standpunkt findet sich auch in neueren Arbeiten.[49] Der Annahme einer Kontinuität in bezug auf die Möglichkeit, im selbständigen DS die V1-Stellung zu verwenden, steht im Grunde hauptsächlich die – aus unabhängigen Gründen – dünne Belegsituation des Mhd. entgegen. Dieses Defizit der Forschung reicht jedoch m.E. keineswegs aus, die Kontinuitätshypothese zu entkräften.
In der nhd. Schriftsprache der letzten Jahrhunderte ist die V1-Stellung im selbständigen DS ebenfalls reichhaltig belegt. In der zweiten Hälfte des 18. Jh. etwa nimmt die Anzahl an Belegen für V1-DS weiter zu, indem die Dichter des Sturm und Drang die V1-Stellung gern verwenden.[50] Paul (1919:72) zählt gar “die Voranstellung des Verb[s] ohne es zu den charakteristischen Eigenheiten der Sturm- und Drangperiode”. Maurer (1926:207) tut sie als bloße “Manier” ab, während Wunderlich/Reis (1924:102) der Auffassung sind, die Dichter des Sturm und Drang hätten die Konstruktion “aus älteren Quellen […] [bzw.] aus der Volkssprache” aufgenommen – ihnen zufolge gab es V1-DS zu dieser Zeit also auch in der mündlichen Sprache.[51] Einige Belege:[52]
(A:41) Kam der Teuffel, sagte … Thät er dem auch also, schmiert eine gewaltige Menge Leim zusammen (Lenz, bei Wunderlich/Reis 1924:102)(A:42) vergingen ihr die Sinnen (Goethe, bei Burdach 1886:151f.)(A:43) saß ich früh auf einer Felsenspitze (Goethe, bei Dal 1962:174)
Auch in der Literatur des 19. Jh. finden sich bei den verschiedensten Schriftstellern immer wieder V1-DS; hier seien nur einige davon erwähnt:[53]
(A:44) Pfeifen auf einmal Kugeln genug um ihn her. (Hebel, bei Maurer 1926:210)(A:45) Hielt der Zigeuner die Pfeif' im Mund (Lenau, bei Blatz 1900:126f.)(A:46) schlief ich neulich in der Liebsten Hause (Rückert, bei Dal 1962:174)
Z.T. treten die Belege in Sequenzen auf:
(A:47) War sie ein jung Blut, und hatte ihr der Pastor mehr Gutes als Böses von den Menschen erzählt. […] Wurde Andreas in den Wald geschickt auf Antrieb des Grafen; jubelte er mächtig, denn von je war's sein Wunsch gewesen, ein Jägersmann zu sein, und zog er sogleich fort von Seeburg […] War ich damals nicht daheim, sondern im fremden Franzosenland […]; schlug ich mich herum in der Champagne … (W. Raabe, Die Chronik der Sperlingsgasse, S. 41, bei Poitou 1993:118)Auch in den Volksliedern, die im 19. Jh. aufgezeichnet wurden, finden sich V1-DS.[54]
Maurer (1926) stellt fest, daß der V1-DS zur Zeit seines Beitrags ein Stilmerkmal der Witzblätter ist,[55] und gibt folgendes Beispiel:
(A:48) Der Eigentümer müht sich …, Käufer … heranzulocken. Kommt ein halbwüchsiger Junge vorbei und ruft: … (Witzblatt, Maurer 1926:209)Er interpretiert dies als “Fortleben des Stils der alten Schwankbücher […] des 15. und 16. Jahrhunderts” (ebd.:209); Brugmann (1917:40, Anm. 2) führt einen ähnlichen Beleg aus einer Tageszeitung an.[56] Maurer findet den V1-DS weiter in zeitgenössischen Romanen.[57] Grubačić führt mehrere Belege aus einem Korpus literarischer Texte des 20. Jh. an, u.a.:[58]
(A:49) Liegen übereinander Obersten und Ritter, die haben wir hinmachen dürfen (H. Mann, bei Grubai1965:54)(A:50) Hatte der Wirt vor unzähligen Jahren diese Tür auf den Schultern in den Wald geschleppt, nachdem … (A. Seghers, bei Grubačić 1965:54)
Nicht selten trifft man die Meinung an, im heutigen Dt. sei die V1-Stellung im DS schriftsprachlich nicht (mehr) möglich; vgl. z.B. Sasse (1995:30): “Written German has a strict word order rule which does not permit clause-initial verbs in declarative utterances”. Wie ersichtlich, lassen sich jedoch vielfältige Belege für diesen Typ beibringen. V.a. aber dürfte er heute wohl gerade in der gesprochenen Sprache beheimatet sein. Zu den Verwendungsweisen des V1-DS im (auch gesprochenen) heutigen Dt. verweise ich an dieser Stelle ausdrücklich auf Kapitel 6. oben, wo sich auch zahlreiche Belege finden.
Aus dem vorgenommenen Überblick dürfte ersichtlich geworden sein, daß die V1-Stellung im DS des Dt. von alters her eine immer wieder verwendete Verbstellungsmöglichkeit ist. Sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach aus den Vorläufern der germ. Sprachen ins Ahd. übernommen worden, wo sie von Beginn an eine gegenüber der grundlegenden Verbstellung markierte Möglichkeit der Verbstellung gewesen ist.
Die Verwendung dieses Typs ist, soweit dies aus der Überlieferung zu erschließen ist, im Laufe der Sprachgeschichte des Dt. eigentlich nur vorübergehend während der mhd. Zeit eingeschränkt gewesen; diese temporäre Eingeschränktheit der Verwendung des Typs kann u.U. am ehesten auf sprachsoziologischem Hintergrund (z.B. Nichtbeliebtheit gewisser Konstruktionen in höfischer Sprache u.ä.) erklärt werden und muß keinesfalls etwas mit Sprachwidrigkeit zu tun gehabt haben.
Die V1-Stellung im DS ist bis auf den heutigen Tag eine der tatsächlich verwendeten Verbstellungsmöglichkeiten des Dt. Aufgrund dessen ist es m.E. durchaus plausibel, sie – neben der V2- und der VL-Stellung – als ein zentrales Phänomen der dt. Sprache zu verstehen.
Zu Ende dieses Abschnitts seien einige sehr kurze Bemerkungen zum Niederdeutschen gemacht. Als im Zusammenhang dieser Untersuchung v.a. wichtig bleibt festzuhalten, daß im As., dem ältesten belegten Stadium des Niederdt., deklarative V1-Stellung häufig vorkommt; vgl. Fourquet (1938:200) zum Hêliand: “Le type à verbe initial est largement représenté”.[59] Der Typ erscheint nicht selten in Sequenzen; vgl. Hopper (1975:52). Ein Beispiel:[60]
(A:51) Skrêd lioht dages, / sunna warđ an sedle; thê sêolîđandion / naht neбlu biwarp; nâthidun erlôs / forđwardes an flôd: warđ thiu fiorđa tîd / thera nahtes kuman – […] – thô warđ wind mikil, / hôh weder afhaбan: hlamôdun ûđeon, / strôm an stamne; strîdiun feridun / thea werôs wiđer winde: was im wrêđ hugi, … (Hêliand, 2908-2916, bei Ries 1880:20)Die Verbstellungsverhältnisse im Mittel- und im Neuniederdt. dürften, wie bereits erwähnt, denen des Hochdt. der jeweils entsprechenden Zeit ähnlich sein. Die Fachliteratur ist auf diesem Gebiet jedoch nicht umfangreich, so daß ich keine Anhaltspunkte für ein evtl. Vorliegen deklarativer V1-Stellung habe finden können.
[1]Hier wird das Fries. ausgeschlossen, da mir keine Anhaltspunkte vorliegen, ob im Fries. V1-Stellung im selbständigen DS möglich (gewesen) ist. Diese Möglichkeit wird jedenfalls in der oben zum Fries. zitierten Literatur nicht erwähnt. Daher möchte ich mich zum V1-DS im Fries. nicht äußern.
[2]In der allerdings – was häufig leider nicht genügend beachtet worden ist – Maurer von Anfang an Sätze wie Kam da ein Mann und sagte … kategorisch aus seiner Untersuchung ausscheidet (s. Maurer 1924:144f.) und damit deren Basis, wie auch m.E. den Wert seiner Ergebnisse, deutlich schmälert. Maurers “Begründung” dieses Verfahrens: “ich erkläre diese Fälle so, daß ich sie Erdmanns Gruppe der erregten Rede zuteile […]: in dieser gelten ja die Gesetze des normalen Satzbaus überhaupt nicht” (ebd.:145). In den verbleibenden Fällen, in denen “nicht in Erregung” gesprochen wird, möchte Maurer “an eine Kontamination denken: man beginnt mit einer Frage (und also der entsprechenden Stellung), geht aber dann in Aussage über” (ebd.). So auch Maurer (1926:201).
Vgl. auch die völlig berechtigte Kritik von Hall (1979:273, Anm. 13): “Maurer seems to have started his investigation with the thesis that all verb initial, non-question structures are in some way aberrant […] what he is trying to do is not explain the structures which he does find but rather explain them away”. Kritik auch schon bei Curme (1925), Öhmann (1925), Biener (1926:248ff.) sowie kürzlich bei Auer (1993:220, Anm. 29); vgl. a. Ries (1926).
[3]S. beispielsweise Schulze (1892:37), Reis (1901:230), Manthey (1903:53), Paul (1919:71), Biener (1926:254), Mausser (1933:1056), Fourquet (1938:131), Dal (1962), Lewy (1964:88), Lockwood (1968:256), Smith (1971:82ff.), Fleischmann (1973:220), Ebert (1986:102).
[4]Aus Platzgründen kann hier nur eine sehr stark begrenzte Auswahl an Belegen gegeben werden.
[5]In der Prosa des Isidor gibt es nach Fourquet (1938:130f.) vier Belege, in denen gegen die lateinische Vorlage V1-Stellung verwendet wird. Vgl. Starker (1883:3), Rannow (1888:114), Reis (1901:224f.), Maurer (1924:149f.), Mueller (1930:71), Näf (1979:145f.).
[6]Im Tatian findet Ruhfus (1897:72) 112 Fälle von V1-Stellung im selbständigen DS gegen oder ohne lateinische Vorlage. Vgl. Maurer (1924:149). Weitere Belege u.a. bei Ruhfus (1897), Penzl (1986:27).
[7]Bei Notker läßt sich eine größere Zahl von V1-DS finden, s. Diels (1906:111), Näf (1979:142); anders Maurer (1926:151). Belege u.a. bei Manthey (1903:53), Diels (ebd.), Wunderlich/Reis (1924:101), Näf (ebd.:139), Valentin (1994:286). Die ältere Forschung hat in Notkers Marcianus Capella 12 bzw. 13 Belege für den V1-DS gefunden; s. Näf (ebd.:142).
[8]Weitere Belege bei Ohly (1888:10ff., 41f.), Paul (1919:71), Wunderlich/Reis (1924:101), Hirt (1934:220), Wunder (1965:142). Nach Erdmann (1881:193) sind V1-DS bei Otfrid häufig, v.a. “gerade in einfach volksmäßiger Erzählung”. McKnight (1897a:166) etwa zählt bei Otfrid 492 (!) nicht-negierte Sätze mit ‘indirect order without introductory word’, d.h. V1-DS.
[9]S. zu weiteren Belegen aus den weniger umfangreichen Werken z.B. Diels (1906:130ff.), Krauel (1989).
[10]Vgl. a. Maurer (1924:150).
[11]‘MHG’ bzw. ‘M.H.G.’ steht in den englischsprachigen Zitaten für ‘Middle High German’ (= Mhd.).
[12]So auch beispielsweise Schulze (1892:38), Mausser (1933:1056), Schneider (1959:380), Lenerz (1984:130).
[13]Oft ist das Seltenerwerden des V1-DS sehr drastisch geschildert worden, wobei man den Eindruck zu erwecken versucht hat, der V1-DS sei nach der ahd. Zeit vorläufig völlig verschwunden gewesen; z.B. wurde davon gesprochen, der V1-DS sei dem V2-DS “zum opfer gefallen (Biener 1922b:173), der V1-DS sei “vollkommen ausgestorben” (Maurer 1924:183), “eingegangen” (Kuhn 1933:68), “nahezu ausgerottet” (Schneider 1938:47), “untergegangen“ (Behaghel 1932:37, Ebert 1978:38); Maurer (1926:182) spricht vom “Todesweg” (!) des V1-DS.
[14]So z.B. Erdmann (1886:187), Naumann (1915:56), Maurer (1924:152), Lenerz (1984:130). – Auch in seiner Untersuchung der exklamativ verwendeten Sätze in Gottfrieds Tristan findet Näf (1992:52) keinen Beleg mit V1-Stellung; dieser Typ ist im Nhd. jedoch recht häufig, vgl. Kapitel 6., Abschnitt 6.5.
[15]In diesem Sinne vorsichtig äußern sich etwa Pieritz (1912:81), Wunderlich/Reis (1924:101), Paul/Mitzka (1960:175), Dal (1962:174), Michels (1979:260), Timm (1986:9).
[16]Die ersten beiden Belege entstammen den Trudberter Hohen Lied (6,5 bzw. 27,32, bei Pieritz 1912:81), die letzten vier dem Arnsteiner Mariengebet (bei Diels 1906:131). – Maurer (1924:152) unterläßt es, die Belege aus dem Trudberter Hohen Lied anzuführen! Dies obwohl er auf die Arbeit von Pieritz (1912) ausdrücklich hinweist (ebd.:Anm. 4). Auch in den “Nachträgen zur Anfangsstellung des Verbs” (1926:198ff.) fehlt jeder Hinweis auf diese Belege. Auch auf die vier aus Diels (1906) angeführten Belege wird von Maurer (1924, 1926) seltsamerweise nicht hingewiesen.
[17]Die Predigten des Bruder Berthold von Regensburg aus der zweiten Hälfte des 13.Jh. hat Faßbender (1908) ausgewertet. Er führt (ebd.:26) einen einzigen Beleg mit V1-Stellung im selbständigen DS an; mit Recht weist jedoch Maurer (1924:155) darauf hin, daß in jenem Beleg allerdings ein Subjekt fehlt. Er fährt fort: “somit ist auch bei Berthold kein derartiger Fall [= V1-Stellung] zu verzeichnen”, ohne allerdings darauf hinzuweisen, daß Faßbender nur eine Auswahl aus Bertholds Predigten ausgewertet hat; s. Faßbender (1908:24, Anm. 1, ebd.:26, Anm. 1).
[18]Vgl. Behaghel (1932:37). Die Belege seien “aus den besonderen Verhältnissen bei diesem Dichter zu erklären”, meint Maurer (1924:183); worin diese “Erklärung” bestehen soll, geht jedoch leider nicht aus Maurer (1924) hervor. – Maurer (1926:201f.) erwähnt noch einen weiteren Neidhart-Beleg, der ebenfalls mit Sprach… beginnt.
[19]Zur Verbstellung bei Hartmann s. Huber (1956:23ff.); vgl. zu Gottfrieds Tristan Körner (1964:54ff.).
[20]Maurer (1924:154f.) erwähnt, er habe stichprobenartig u.a. neun Seiten des Lucidarius aus dem 12./13. Jh., elf Seiten des Sachsenspiegel vom Anfang des 13. Jh. sowie verschiedene Teile von Predigten aus dieser Zeit durchgesehen, ohne auf V1-DS gestoßen zu sein. In allen diesen Texten “wäre durchaus Anfangsstellung möglich, wenn sie noch lebendig wäre”, meint Maurer (ebd.:156). Kritik an dem in Maurer (1924, 1926) angewandten Stichprobenverfahren übt Ries (1926:165f.). – Natürlich kann aus der Tatsache, daß eine Konstruktion möglich ist, aber in einem begrenzten Korpus nicht belegt werden kann, nicht per se geschlossen werden, daß sie nicht existent ist. In diesem Sinne kritisch auch schon Öhmann (1925).
[21]Belege aus diesen Werken auch bei Behaghel (1900b:238).
[22]Auch Behaghel (1900b:239) führt einige Belege des 14. Jh. an. Margetts (1969) findet in seiner Auswahl (vgl. ebd.:9) aus Meister Eckhart keine Belege, s. (ebd.:54f., Anm. 97).
[23]Nach Maurer (1924:157) kommen im Ackermann V1-DS nicht im Text vor, wohl aber in den Überschriften (in Handschriften ab 1470).
[24]Küpper (1971:25) setzt für die Kölner Jahrbücher als Entstehungszeitraum etwa 1375 bis 1450 an. Er bringt (ebd.:81) auch weitere Belege mit V1-DS aus diesen Quellen.
[25]Dieser wichtige Aspekt wird auch von Behaghel (1900a:229), Curme (1925:256) und Horacek (1953:282) hervorgehoben.
[26]In diesem Sinne auch Pieritz (1912:81) sowie Hirt (1929:347f.).
[27]So z.B. Philipp (1980:95).
[28]So z.B. Curme (1922:461), Ebert (1986:102f.), Timm (1986:9), Hartweg/Wegera (1989:136), von Polenz (1991:298), Reichmann/Wegera (1993:431).
[29]Eine Reihe von Belegen hierfür aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. findet sich u.a. bei Wunderlich (1890:182), Paul (1919:71), Maurer (1924:160ff.), Biener (1926:248ff.), Behaghel (1932:37f.).
[30]Weitere Belege dieser Art u.a. bei Maurer (1924:165, 176, 1926:203), Biener (1922b:178, 1926:248), Rockwell (1928:17), Behaghel (1932:38), Roloff (1970), Betten (1987:123).
[31]Wie Folsom (1985:149ff.) zeigt, halten sich seit Luther V1-DS in den dt. Bibelübersetzungen bis ins 20. Jh. hinein, während die vorlutherischen Übersetzungen der Bibel den Typ kaum verwenden.
[32]Vgl. Erben (1954:13ff., 154ff.).
[33]Weitere Belege aus dem Werk Luthers bei Curts (1910), Paul (1919:71f.), Franke (1922:68f.), Maurer (1924:177f.).
[34]Diese können aus Platzgründen leider nicht im einzelnen aufgeführt werden. Belege aus dem 16. Jh. finden sich u.a. bei Behaghel (1900b:241ff.), Hammarström (1923:46, vgl. 223), Maurer (1924:176ff., 1926:204), Ebert (1978:38). Vgl. a. die Belege aus dem Werk von Hans Sachs und seinem Nachfolger Jacob Ayrer bei Kieckers (1915:6) und Paul (1919:72), s.a. Biener (1922b:178, 1926:249), sowie die Belege aus Volksliedern des 16. Jh. bei Maurer (1926:206); s.a. Ebert (1986:102).
[35]Zu Opitz (1597-1639) stellt Schultze (1903:29) fest: “reine Anfangsstellung ist bei ihm noch recht häufig”. Zu Grimmelshausen vgl. Lovell (1912), zur Verbstellung im Simplizissimus auch Behaghel (1900a:227).
[36]Ähnlich hatte sich bereits Schulze (1892:1) geäußert.
[37]Daß Behaghel jedoch später einen gewissen Zusammenhang nicht mehr ganz ausgeschlossen hat, legt die folgende Passage nahe: “Dagegen war in der ältern Zeit die Anfangsstellung des Zeitworts weit verbreitet, und die Nachklänge dieser Freiheit reichen bis auf unsere Zeit.” (Behaghel 1955:258).
[38]Vgl. zu ähnlichen Fällen zuletzt Reis (1995).
[39]S. hierzu Maurer (1924:184, Hervorh. i.O.): “Zwei Kräfte wirken neben- und miteinander: Der lateinische Einfluß spielt eine Hauptrolle. Aber er erklärt nicht, warum die Erscheinung auf Verba des Sagens beschränkt ist. Der zweite Grund ist der, daß diese Verba schon in einer scheinbaren Anfangsstellung im Gebrauch sind, nämlich im Einschubsatz. In Fällen wie “Das ist sehr schön”, sagte der Mann versteinert sagte der Mann zur Formel und wird als Ganzes auch vor die direkte Rede gestellt”.
[40]S. z.B. Schulze (1892:49), Grimm (1898:1273f.), Faßbender (1908:26), Paul (1911:89), Pieritz (1912:13f., 80f.), Maurer (1924:152), Mausser (1933:1054), Huber (1956:24), Körner (1964:56ff.), Michels (1979:260).
[41]Zu der v.a. von Maurer (1924, 1926) und Behaghel (1932) propagierten Hypothese, die V1-DS des Fnhd. seien auf lateinischen Einfluß zurückzuführen, vgl. auch, daß Valentin (1994:286) Einfluß lateinischer Vorlagen bei V1-DS im Ahd. für nicht wahrscheinlich hält, was u.U. auch auf die fnhd. Zeit auszudehnen wäre.
[42]Zum Konzept der Analogie in der Entwicklung der Sprache s. Paul (1920:106ff.).
[43]S. Maurer (1924:175, 184, 1926:200), Behaghel (1932:37f.).
[44]“Insbesondere enthält Maurers Argumentation einen Denkfehler: er argumentiert nämlich, die Verbspitzenstellung sei lediglich bei den Verba dicendi natürlich und habe dort, unterstützt vom lateinischen Vorbild, ihren Ausgang genommen, weil im redeanführenden Einschubsatz die diesem vorangehende reportierte Rede gleichsam das Vorfeld ausfüllt. Seine Beispiele zeigen jedoch, daß das Verbum dicendi in den frühen Texten meistens vor der angeführten Rede steht, also Sagte x: ‘p’, nicht ‘p’, sagte x. Für diese Fälle kann die ‘psychologische’ Erklärung Maurers nicht zutreffen” (Auer 1993:220, Anm. 29; Hervorh. i.O.).
[45]Ich verweise auf die ausführliche Diskussion in Reis (1995).
[46]Diese wird z.T. auch vorsichtiger formuliert als bei Maurer und Behaghel. Paul (1919:71) etwa bezeichnet es als “zweifelhaft”, ob der V1-DS des Ahd. mit dem des Fnhd. in Zusammenhang zu bringen sei; ähnlich zurückhaltend Spitzer (1941:1161).
[47]Erben (1985:1343) stellt zum V1-DS fest, daß im Falle dieser Konstruktion “das Frnhd. noch eher zum älteren Deutschen” stimme. Ähnlich Curme (1925:256).
[48]Vgl. a. Biener (1926:254).
[49]Hartweg/Wegera (1989:136) räumen ebenfalls die Möglichkeit lateinischen Einflusses ein, wollen in ihm jedoch nicht den einzigen Faktor für die Zunahme der Verwendung der V1-Stellung im DS des Fnhd. sehen; ähnlich Erben (1954:14, Anm. 4), vgl. (ebd.:156) sowie Beri-Djuki. Nach Hartweg/Wegera ist auch der Einfluß der gesprochenen Sprache wichtig; d.h., die Autoren nehmen an, die V1-Stellung im DS habe in der gesprochenen Sprache kontinuierlich existiert und von dort aus die Schriftsprache beeinflußt.
[50]Vgl. z.B. Adolf (1944:78), Mattausch (1965:156), Seidler (1985:2032). – Die V1-Stellung in Belegen dieser Zeit wertet Weinrich (1993:79) als “poetische Lizenz”, die “ziemlich oft” vorkomme.
[51]So auch Spitzer (1941:1161), Mattausch (1965:163, Anm. 2). Ohne Begründung meint allerdings Maurer (1926: 209) – vgl. Behaghel (1900a:230, 1932:38) – zu Belegen aus der Zeit des Sturm und Drang und der Befreiungskriege: “Jedenfalls dürfen aber derartige Belege nicht als lebendige Spracherscheinungen gewertet werden”. Warum nicht?
[52]Zahlreiche weitere Belege u.a. bei Erdmann (1886:186), Kieckers (1915:6), Paul (1919:72), Mattausch (1965:65ff.), Dal (1962:174).
[53]Eine Vielzahl weiterer Belege u.a. bei Kieckers (1911:56, 1915:6), Paul (1919:72f.), Maurer (1926:208), Schneider (1959:391).
[54]Belege z.B. bei Schiepek (1908:504), Maurer (1926:206f.) sowie, aus Des Knaben Wunderhorn, bei Grimm (1898:1274). Vgl. Behaghel (1900a:228).
[55]Zum V1-DS in Witzen des heutigen Dt., vgl. Önnerfors (1993:32ff., 1997), Auer (1993). S.a. oben, Kapitel 4., Abschnitt 4.1.1., und Kapitel 6., Abschnitt 6.1.
[56]Maurer bemängelt die Verwendung des V1-DS in zeitgenössischen literarischen Beiträgen in Zeitungen; u.a. kritisiert er folgende Stellen: Gab der Herr zur Antwort … Kehrte Jakobus um … Staunte Jakobus … Erwiderte der Bauer (M. Dürr, Gießener Anzeiger 1924, bei Maurer 1926:210); Geisterte ein Schatten auf dem Schmalpfad des Wehrs und beugte sich tief. Knarrte der Schleusenmund und schloß sich gähnend. […] Duckten sich unten die Wellen zur sammelnden Kraft […] Stöhnte der Damm ganz leise … (Berglar-Schröer, Darmstädter Tägl. Anzeiger 1924, ebd.:210f.). Leider ohne weitere Diskussion stellt Maurer hierzu fest: “daß es sich vielmehr um übelste Maniriertheit handelt, davon braucht wohl nicht gesprochen zu werden” (ebd.:211).
[57]Belege auch bei Curme (1922:461). Maurer (1926:209f.) zitiert den folgenden Beleg: Friedrich schickte dem Feldherrn hierauf ein Fäßchen spanischen Malvasiers. Schrieb ihm Tilly hier wiederum, daß … (Schmitthenner). Hier wolle der Autor nach Maurer “den Eindruck altertümlichen, etwa der Zeit seiner Erzählung angepaßten Stils schaffen”. Vgl. Grubačić: “Moderne Schriftsteller gebrauchen die Spitzenstellung, wenn sie altertümeln wollen”.
[58]An dieser Stelle kann auch auf die Erzählung Stief und Halb von Johannes Urzidil (1954) hingewiesen werden, in der auf nur zwölf Seiten Dutzende von V1-DS begegnen.
Nach Todt (1894:236), Schultze (1903:29) und Reis (1917:42) ist im nhd. DS die V1-Stellung in der Poesie häufiger als in der Prosa. Vgl. hierzu auch Eroms (1993:1539f.).
[59]So sind etwa im as. Material Högbergs (1915) gut 11% der selbständigen DS solche mit V1-Stellung.
[60]Eine Vielzahl von Belegen findet sich u.a. bei Ries (1880, 1896), Kellner (1892:289), Högberg (1915), Fourquet (1938), Smith (1971:87ff.), Rauch (1992).
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